Nach der Begrüßung der Anwesenden wird über die Entwicklungen seit der letzten Sitzung berichtet. Die Initiative zur Verankerung der Digitalen Bibliotheken im Technologieschwerpunkt der Österreichischen Bundesregierung war leider nicht erfolgreich: Der BMwA antwortete als einziger der angeschriebenen Minister positiv, wenngleich - ressortspezifisch verständlich - eine Zusammenarbeit mit der Industrie als Voraussetzung einer Förderung gewünscht und gefordert wurde. Dem anwesenden Vertreter des BMwA wird für die Offenheit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit gedankt.
Das BMUkA hingegen erklärte sich für Forschungsarbeit im Bibliotheksbereich als nicht zuständig und verwies seinerseits auf das BMWVK.
Das BMWVK erklärte, daß zur Zeit die Prioritäten bei der Vergabe von Finanzmittel im Bereich Bibliotheks- und Informationswesen im Aufbau bzw. der Modernisierung des Verbundes lägen, Mittel für Digitale Bibliotheken fast nur in diesem Zusammenhang ausgeschüttet werden könnten, ein Standpunkt, dem, da durch einzig Infrastrukturmaßnahmen die eigentliche Innovation im Bereich Bibliotheken zu kurz komme, nicht beigepflichtet wird.
Es wird beschlossen, die Antwort des BMUkA, welche offensichtlich auf einem Mißverständnis beruht, in einem persönlichen Gespräch mit der zuständigen Ministerialrätin zu klären. Auch der neue Leiter der Abt. I/A/8 des BMWVK gilt als der Sache der Bibliotheken im allgemeinen und als für in- und ausländische Kooperationen und Projekte im besonderen aufgeschlossen. Es ist wichtig den Ministerien konkrete und gut ausgearbeitete Projektvorschläge vorzulegen, dann sei bei beiden Ministerien (BMWVK und BMUkA) eine Projektdurchführung in optimaler Weise gegeben. Es wird jedoch davor gewarnt, Verbund gegen Digitale Bibliotheken auszuspielen, da ein leistungsstarker Verbund die unabdingbare Voraussetzung für ein funktionierendes System Digitaler Bibliotheken ist. Natürlich ist an der Infrastruktur in Österreich noch sehr viel zu verbessern (am Ziel müsse der freie und unbeschränkte Zugang zu Telekommunikations-Infrastruktur als Universaldienst stehen); der Verbund ist schließlich nicht als Selbstzweck der Bibliotheken sondern im Dienste der Benützer zu sehen, ja Grundlage der Benützbarkeit einer Digitalen Bibliothek.
Es wird erwidert, daß die Grundidee des Forschungsschwerpunktes v.a. in der Aufarbeitung von content, der Bearbeitung der Inhalte, gelegen war, denn dies sei - wenn auch der Verbund sicherlich wichtig ist - ein Gebot der Stunde.
Bedenken werden geäußert, ob das Internet überhaupt für die Bedürfnisse der Digitalen Bibliothek über einen OPAC hinausgehend geeignet sei, und bringt als Hauptargumente gegen das Internet dessen rechtliche Unsicherheit und die Kostenfrage; zudem hätten Benützerumfragen ergeben, daß die wenigsten tatsächlich eine Volltext-Digitale Bibliothek wünschen würden, ein guter Katalog mit erweiterten abstracts würde demnach ausreichend sein. Auch die Erfahrungen aus dem Bereich IE lassen erkennen, daß der Katalog im klassischen Sinn zugunsten der inhaltlichen Erschließung (content) ausgedient hat.
In einem Kurzreferat wird über die derzeit laufende Ausschreibung für Bibliotheken im 4. Rahmenprogramm und deren inhaltliche Gewichtung berichtet (Multimedia und innovativer Charakter der Projekte sind für einen positiven Antrag unabdingbar). Wichtiger als das Bibliotheksprogramm für sich ist jedoch eine Verbindung zu anderen Programmen bzw. Sektoren innerhalb des Telematik-Programmes, also übergreifendes, systemisches Denken, das Eingehen von neuen Bündnissen mit "alten Partnern" (siehe call topics der laufenden Ausschreibung). Für weitere Informationen steht der ANFP zur Verfügung, grundlegende Texte und Unterlagen sind elektronisch über die server der EC zugänglich (als Ausgangspunkt: http://www2.echo.lu).
Aus der Frage, welche Probleme im Zusammenhang mit der Digitalisierung vordringlich zu lösen wären, entsteht eine Grundsatzdiskussion zur Situation der Bibliotheken in Österreich und zu Sinn und Aufgaben der AG Digitale Bibliotheken.
Anhand aktueller Beispiele aus der ÖNB wird die Komplexität der Probleme illustriert - Recht, Technik, Management und Finanzen sind so eng miteinander verbunden, daß eine Trennung, wie sie durch die einzelnen Fachausschüsse suggeriert wird, nicht möglich und auch kaum sinnvoll erscheint. Ist es überhaupt sinnvoll ganze Sammlungen zu digitalisieren oder kommt eine Teildigitalisierung den Bedürfnissen der Benützer eher entgegen?
Auf die Problemsituation öffentliche versus wissenschaftliche Bibliotheken angesprochen, wird die Gefahr einer wachsenden Konkurrenzierung dieser beiden Bibliothekstypen diskutiert, da v.a. die wissenschaftlichen Bibliotheken Inhalte besitzen, welche unter dem Begriff "Europäisches Kulturerbe" teuer vermarktet werden könnten - die öffentlichen Bibliotheken, die ihrerseits einen wesentliche größeren Benützerkreis bedienen als die wissenschaftlichen, hätten diese Inhalte nicht und somit bei gleichzeitigen wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil. Wird nicht auf die Schaffung größerer Einheiten geachtet, ist die Gefahr groß, daß der Druck der Kommerzialisierung auf Kosten von Kulturgut und Benützer gehen könnte. Derzeit ist diese Konkurrenz noch nicht gegeben, wird aber - weniger innerhalb Österreichs als von außen an die österreichischen Bibliotheken herangetragen - in den nächsten Jahren entstehen; die Bestrebungen müssen in der nächsten Jahren dahin gehen, eine starke und wirtschaftlich tragfähige Bibliothekssituation in Österreich zu schaffen, die einem Druck von außen standhalten kann. Eine rein marktwirtschaftlich ausgerichtete Digitalen Bibliothek ist gerade in Hinblick auf kulturell wichtige, aber nicht für den alltäglichen Benützer "interessante" Sonderbestände eine zweischneidige Angelegenheit. Auch die rechtliche Komponente ist zu berücksichtigen: Soll man Kompetenz aus der Hand geben oder alles in der Bibliothek erledigen, welche Gefahren birgt der Transfer größerer Bestände außer Haus, etc.?
Betreffend die Katalogfrage kommt es zu einer längeren Diskussion: An welchen Modellen soll man sich für den Katalog orientieren, hat die traditionelle Form des Kataloges ausgedient, sind die amerikanischen Erfahrungen auch nach Europa transferierbar? Unumstritten bliebt, daß in jedem Fall die Frage der Standardisierung bzw. die Einhaltung bestehender Standards unumgänglich ist. Der Katalog wird immer eine wesentliche Grundlage auch einer digitalen Bibliothek bilden, doch sind auch hier neue Wege unerläßlich (Multimedia, Volltextsuche etc.)zu gehen. Es wird darauf hingewiesen, daß der Katalog in dieser Form zwar in Österreich noch ein weitgehend ungelöstes Problem sei, in den Programmen der Europäischen Kommission jedoch bereits irrelevant, hier geht der Trend in Richtung Aufarbeitung der Inhalte.
Abschließend wird die Gründung einer interministeriellen Arbeitsgruppe, welche Strategien zu einer besseren und EU-adequaten Aufarbeitung der österreichischen Bestände erarbeiten sollte, gewünscht. Ein wichtiges Arbeitsvorhaben wäre z.B. eine Modernisierung des Mediengesetzes entsprechend den Entwicklungen der jüngsten Zeit (z.B. Pflichtabgabe für Dokumente in elektronischer Form). Grundsätzlich ist jedoch eine politische Willenserklärung und Absicherung der Modernisierungsbestrebungen der österreichischen Bibliotheken in großem Stil vonnöten und unumgänglich. Nicht die technischen Probleme, welche in nächster Zeit gelöst sein werden, sondern ein Konsens über schützenswertes Kulturgut und dessen kommerzielle Verwertung muß erste Priorität haben. Gerade in einem Land mit kaum zu überbietender Dichte an Überlieferung zum Europäischen Kulturerbe wie in Österreich muß das Problem der schonenden Nutzung und kommerziellen Verwertung von Kulturinhalten ernsthaft und in breiter Front diskutiert werden. Es wird empfohlen, vorerst innerhalb der Arbeitsgruppe einen breiten Konsens über deren Tätigkeit, Aufgaben und gemeinsame Ziele herzustellen und erst dann das gemeinsam erarbeitete und daher auch gemeinsam getragene Statement an die Politik heranzutragen.
Um die Ziele der Arbeitsgruppe Digitale Bibliotheken noch klarer und deutlicher zu formulieren, wird beschlossen, eine Kleingruppe zu bilden, welche bis zur nächsten Sitzung ein entsprechendes Statement als Diskussions- und Arbeitsgrundlage formulieren soll.
Zu Punkt 1 wird ergänzt, daß die Technologiemilliarde von Anfang an nicht für Infrastrukturmaßnahmen gedacht war, sondern die Förderung des Transfers von Wissenschaft zur Wirtschaft zum Ziel hatte, weshalb das Ansuchen der Arbeitsgruppe Digitale Bibliotheken von vorn herein ohne Chancen auf Berücksichtigung war.
Als Beispiel einer digitalen online-Anwendung wird ein Projekt der Forschungsstelle für Schallforschung (gemeinsam mit dem Phonogrammarchiv) vorgestellt, in dem Schallaufzeichnung, Kataloginformation und Bildmaterial via Internet in einer Pilotanwendung zugänglichgemacht werden.
Der ANFP arbeitet derzeit an der Erstellung einer eigenen Home Page, weiters ist gemeinsam mit der VÖB ein spezielles EU-Informationsblatt für Bibliotheken geplant.
Wien, am 25. März 1997
Dr. Werner A. Deutsch
Mag.Dr. Elisabeth Th. Hilscher
Der Volltext des Protokolls ist erhältlich via Email:
Elisabeth.Hilscher@kfs.oeaw.ac.at